Nach dem Ende der Beratungspause nach Hitlers Rede in der Kroll-Oper war der Brief noch nicht eingetroffen, aber Hitler versicherte, er sei unterwegs und werde noch während der Abstimmung eintreffen. Prälat Kaas beruhigte Brüning: „Wenn er irgendwie Hitler je geglaubt hätte, so müsse er es nach dem überzeugenden Ton dieses Mal tun.“ (Brüning, Memoiren, S. 696)
Der Brief traf nie ein.
Um die notwendige Zweidrittelmehrheit zu erreichen, war den Nationalsozialisten jedes Mittel recht. Die notwendige Zweidrittelmehrheit verschafften sich die Nationalsozialisten durch Verhaftung von Abgeordneten, durch Kassation von Mandaten, durch Täuschung und schließlich durch Terrorisierung der anderen Parteien.
Voraussetzung für die Annahme eines verfassungsändernden Gesetzes war eine „doppelte Zweidrittelmehrheit“, d.h. zwei Drittel der Mitglieder des Reichstages mussten bei der Abstimmung zugegen sein, von denen wiederum zwei Drittel ihre Zustimmung geben mussten. Da die 81 Abgeordneten der KPD-verhaftet wurden und erst gar nicht zur Eröffnungssitzung eingeladen wurden, mussten bei der Abstimmung von den verzeichneten 647 Abgeordneten nur noch 378 anwesend sein. Deshalb hatte Frick dafür plädiert, die kommunistischen Mandate nicht zu kassieren, da anderenfalls 432 Abgeordnete hätten anwesend sein müssen.
Die NSDAP (288 Abgeordnete) brachte es mit den Stimmen der „Kampffront Schwarz-Weiß-Rot“ (53 Mandate) auf insgesamt 341 Stimmen. Damit hätte die „Regierung der nationalen Erhebung“ nach dem Wortlaut der Verfassung bereits aus eigener Kraft gegen die Stimmen der anderen Parteien das Gesetz durchbringen können, wenn nicht mehr als 511 Abgeordnete an der Sitzung teilnehmen würden.
Die Zahl der Jastimmen erhöhte sich noch um möglicherweise 32 Stimmen der bürgerlichen Parteien , womit man bereits mit 373 Stimmen für das Ermächtigungsgesetz rechnen konnte und sogar 559 Abgeordnete an der Sitzung hätten teilnehmen können.
Nun hatten die Nationalsozialisten lediglich noch dafür Sorge zu tragen, dass neben den 81 verhafteten KPD-Abgeordneten weitere 8 Parlamentarier der Abstimmung fern blieben. Dies war kein Problem, da die Regierung bereits mindestens 15 der 120 SPD-Mitglieder auf Grund des „Schutzhafterlasses“ unter Arrest gestellt worden waren.
Um absolut sicher zu gehen, dass die SPD nicht durch ein geschlossenes Fernbleiben den Reichstag beschlussunfähig machen konnten, änderten die Nationalsozialisten die Geschäftsordnung des Reichstags: Bei der Abstimmung bestand Anwesenheitszwang, unentschuldigte Abgeordnete sollten als anwesend gelten. Wer aber unentschuldigt war und demnach bis zu 60 Tagen von der Sitzung ausgeschlossen werden konnte, darüber durfte der Reichstagspräsident befinden:
„Wer ohne Urlaub oder infolge einer Erkrankung, die dem Abgeordneten die Teilnahme nicht tatsächlich unmöglich macht, an Vollsitzungen, Ausschusssitzungen und Abstimmungen nicht teilnimmt, kann durch den Präsidenten bis zu 60 Sitzungstagen von der Teilnahme an den Verhandlungen ausgeschlossen werden.“ Gekoppelt wurden diese Bestimmungen mit dem neu formulierten § 98,3 : „Als anwesend gelten auch Mitglieder, die nach § 2a ausgeschlossen sind.“
Das Ermächtigungsgesetz wurde schließlich mit 444 zu 94 Stimmen angenommen und die Nationalsozialisten konnten von nun an ohne die Zustimmung von Reichstag und Reichsrat Gesetze erlassen, auch solche, die im Widerspruch zur Reichsverfassung standen.
Damit hatte sich das deutsche Parlament in dieser denkwürdigen Sitzung vom 23. März 1933 selbst aller Befugnisse entledigt. Ab diesem Tag hörte jegliches parlamentarische Leben in Deutschland auf. Das Gesetz ermächtigte die Regierung für vier Jahre ohne die Mitwirkung des Reichstages Gesetze zu erlassen, und zwar ausdrücklich auch solche, die von der Verfassung abwichen. Die legislative Gewalt war auf die Exekutive übergegangen und damit das grundlegende Prinzip der Gewaltenteilung der modernen Demokratie außer Kraft gesetzt worden. Die einschränkenden Bestimmungen, die das Gesetz enthielt, hat Hitler später samt und sonders nicht berücksichtigt.
Was folgte, war die Ausschaltung der Parteien aus dem öffentlichen Leben, die er eben noch gebraucht hatte, um sich den Mantel der Legitimität umlegen zu können.
Literatur:
Josef Felder. Warum ich Nein sagte. Reinbek bei Hamburg, 2002
Hans-Ulrich Thamer. Verführung und Gewalt. Deutschland 1933-1945. Berlin 1994 (S. 274 f.)
http://www.dhm.de/lemo/html/nazi/innenpolitik/ermaechtigungsgesetz/
Carolin Metz, Alexandra Frisch