1. Josef Felder: Kindheit und Jugend

Im Elternhaus

Josef Felder kam am 24. August 1900 als erstes von elf Kindern aus zwei Ehen seines Vaters zur Welt. Josefs Vater war ein erfolgreicher Kaufmann, der 1903 von Augsburg nach München und 1908 nach Mindelheim zog. Dort eröffnete er ein Kaufhaus.


Josefs Mutter, Therese Felder, geb. Schnell, starb bereits 1907 an Lungentuberkulose. Die zweite Frau seines Vaters – Therese Gruber – hatte es schwer mit der Erziehung der Kinder aus erster Ehe, kümmerte sich jedoch aufopferungsvoll um die Familie.


Dokumente zur Familie Felder aus dem Stadtarchiv Mindelheim


Josef Felder besuchte in München die erste und zweite Klasse, danach in Mindelheim die dritte bis fünfte Klasse der Volksschule, in denen Josef sehr unter dem Lehrer Julius Streicher zu leiden hatte. Josef Felder charakterisierte ihn als „äußerst unangenehm, sehr aggressiv und unberechenbar.“

Wiederholt wurde Josef Felder von dem „Pädagogen“ Streicher mit dem Rohrstock traktiert und gedemütigt. Julius Streicher war bis Mitte des Jahres 1909 Volksschullehrer in Mindelheim und ließ sich dann nach Nürnberg versetzen. Unter den Schülern galt Julius Streicher als „Spinner“, seine pathologischen Züge erkannten sie erst viel später, als er Karriere in der NSDAP gemacht hatte.
Nach der Volksschule besuchte Josef Felder für zwei Jahre eine Tagesfortbildungsschule – ein heute nicht mehr bestehender Schultyp der auf gewerbliche Ausbildung vorbereitete und Lehrlinge und Gesellen ausbildete.


Lehrzeit in Mindelheim

Am Vorabend des I. Weltkriegs, als jedermann bereits von der Unvermeidbarkeit des Krieges sprach und viele die Notwendigkeit eines Präventivkrieges hinter vorgehaltener Hand diskutierten, begann Josef 1913 in Mindelheim seine Lehre im Verlag des „Mindelheimer Anzeigenblattes“, das parteipolitisch der katholischen Zentrumspartei nahe stand.

Er genoss eine sehr strenge aber überaus gründliche Lehre. Der Besitzer der Druckerei spürte seine Begabung für das Metier , brachte ihm viel bei und förderte auch sein politisches Interesse. Josef Felder verschlang alles, was mit Politik zu tun hatte: regelmäßig verfolgte er die Zeitungsberichte über die Balkankriege, über die Sitzungsperioden der Kammer der Reichsräte in Bayern und die Verhandlungen im Bayerischen Landtag. Zeitgleich nahm private Englisch- und Französischstunden.

Gar zu gerne hätte Josef Felder ein Studium aufgenommen, aber dies war angesichts der Größe der Familie mit 11 Kindern undenkbar, so bildete er sich auf eigene Faust weiter, auch noch in den Zeiten als Redakteur in Augsburg.

Sein Chef ermunterte ihn zur Abfassung von Berichten und Reportagen und schickte ihn kurz vor Ausbruch des Krieges auf Versammlungen und Vorträge von Offizieren. Im Alter von 13 Jahren erlernte Felder somit nicht nur den Beruf des Druckers, sondern auch des Redakteurs. Hautnah erlebte er die Kriegsbegeisterung der Bevölkerung auf die Mobilmachungsorder.

Laut Josef Felder war der Geschichtsunterricht an den Schulen für den Patriotismus und die Kriegsbegeisterung zumindest mitverantwortlich. Dort ging es um Thron und Altar, um Schlachten und Daten deutscher Kaiser und Könige, die auswendig zu lernen waren. Die Schlacht von Sedan wurde gar im Schulhof von Mindelheim nachgespielt und die Vorstellung vom Erbfeind Frankreich in die Köpfe eingehämmert. Der junge Josef Felder war selbst von der Kriegsbegeisterung erfasst.

Wie Kaiser Wilhelm II. selbst sprach man bei den Stammtischen von der „Unvermeidbarkeit“ des Krieges und der „Umzingelung“ durch den Feind, der man entkommen müsse. Es war kaum verwunderlich, dass sich Josef Felders Vater, ein unpolitischer und liberal denkender Mann, trotz seiner 11 Kinder nach Ausbruch des Krieges unverzüglich freiwillig zum Kriegsdienst meldete.

Seine zweite Frau Therese stand somit mit ihren 11 Kindern alleine da und erhielt lediglich eine Unterstützung von 40 Reichsmark. Aus der Landwirtschaft kommend, half sie bei den Bauern aus, verdiente zusätzliches Geld durch Strümpfestopfen und Waschen. Alle Kinder bekamen ausreichend zu essen und waren ordentlich gekleidet. Mit großer Einsatzbereitschaft, humorvoll und selbstverständlich ohne jemals zu klagen wurde Therese Felder zu einer der vielen unbekannten Heldinnen des I. Weltkrieges.


Der junge Josef erkrankte 1915 an Tuberkulose. Sein Hausarzt erteilte ihm keine günstige Prognose: „Der kränkliche Bub wird es wohl kaum bis zu seinem 16. Lebensjahr bringen.“ Umso erfreulicher war es, dass Felder 1917 seine Prüfung als Buchdrucker bei der Handwerkskammer für Schwaben und Neuburg mit der Note I ablegte. „Schweizerdegen“ nannte man Buchdrucker, die im Satz wie im Druck ausgebildet waren. Noch im gleichen Jahr trat er dem Verband der deutschen Buchdrucker bei.

Kriegsende und Räterepublik

„Nach Abschluss der Lehre wollte ich unbedingt weg von Mindelheim. Wir waren genügend Esser daheim, ich wollte für mich selbst sorgen, mich weiterbilden, weiter lernen. Es war damals leicht, eine Stellung zu finden, die meisten Männer waren als Soldaten eingezogen, überall wurden einem die Arbeitsstellen nachgeworfen. Man konnte sich raussuchen, was man machen wollte.
(JF, Warum ich Nein sagte, S. 23)

Baden-Baden – das klang in Felders Ohren überaus attraktiv, weshalb er im Mai 1918 beim Badener Tagblatt in der Akzidenz- und Zeitungsabteilung seine erste Stellung antrat. Baden-Baden war zur Sanitätsstadt erklärt worden, um die Bewohner zu schützen. Verwundete Offiziere, höhere Beamte und Manager der Kriegsindustrie flanierten und promenierten dort unverdrossen und scheinbar unbeeindruckt vom Kanonendonner aus dem nahen Elsaß.

Solche und andere Beobachtungen, erhärtet durch Debatten am privaten, immer kärglicher werdenden Mittagstisch mit österreichischen Künstlern des Kurtheaters, die auf die frappierenden Klassengegensätze hinwiesen, veränderten allmählich die durch die schulische Erziehung geprägte nationale Grundhaltung.

Im Alter von 18 Jahren wurde Josef Felder bewusst, dass sich die Deutschen durch die Kriegspropaganda der Reichsleitung und der OHL (Obersten Heeresleitung) 1914 hatten fortreißen lassen. Fast alle Deutschen, auch die meisten Sozialdemokraten hatten die These vom Verteidigungskrieg allzu leichtgläubig übernommen.

Felder nahm die Diskrepanz zwischen der Notversorgung der Bevölkerung, die sich mit Papierstoff kleiden und von Bodenrüben ernähren musste und dem dekadenten Pomp und Luxus der privilegierten Gesellschaftsschichten ärgerlich zur Kenntnis und brachte den offiziellen Kriegsberichterstattungen immer größere Skepsis und Misstrauen entgegen.

Dennoch wirkte das Eingeständnis des General Berthold von Deimling1) Mitte Oktober 1918 in Baden-Baden, der Krieg sei verloren, auch auf Josef Felder wie ein Schock. Von diesem Moment an habe er erkannt, wie sehr die Bevölkerung in unverantwortlicher Weise mit den Durchhalteparolen getäuscht worden sei:

„Von da an glaubte ich der offiziellen Kriegspropaganda überhaupt nichts mehr. ...... Das alles beeindruckte mich sehr und bestärkte mich in meinem Entschluss, nach München und nicht an die zusammenbrechende Front zu gehen.“
(zitiert nach: Josef Felder, Warum ich Nein sagte, S. 27)


Nun wurden überall in Deutschland die vom Weltkrieg am wenigsten diskreditierten Parteien der SPD und USPD verstärkt aktiv und forderten den „Frieden unter allen Umständen“ und eine Parlamentarisierung des Reiches. Selbst von der Seite der Nationalen war weder in München noch in Baden-Baden Widerstand gegen die Friedensforderungen zu hören

Die Revolution in München

Obwohl Josef Felder 1917 bei der Musterung zurückgestellt worden war, wurde er Ende September/Anfang Oktober 1918 nochmals in der Garnisonstadt Rastatt gemustert und für „kriegstauglich“ befunden. Der Personalmangel war so groß, dass seine Sehschwäche keine Rolle spielte, er sollte in die KV Infanterie eingezogen werden.

Nach eigenem Bekunden aber dachte Josef Felder nicht daran, „jetzt noch in den Krieg zu rücken. Nur weg hier, dachte ich, zurück nach Bayern, in die Nähe der Eltern.“ Er verließ daraufhin Ende Oktober Baden-Baden, um eine freigewordene Stelle im angesehenen Münchner Kunst- und Buchverlages Kastner und Callwey in der Finkenstraße anzunehmen. Josef Felder nahm sich ein Zimmer in der Zweibrückenstrasse.
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Trotz seiner Übersiedelung nach München erhielt er seinen Gestellungsbefehl des 2. Infanterieregimentes nachgesandt, schließlich bestand Anmeldungspflicht. Am 11. November 1918 sollte Felder sich beim 2. Infanterie-Regiment in München melden.

Rückkehr des Vaters

Mittlerweile war sein Vater nach über 3-jährigem Einsatz an der Westfront auf „Genesungsurlaub“ heimgekehrt. Er litt unter einem Lungenemphysem, einer Erweiterung der Lungenbläschen, wie sie häufig von unzureichend behandelten Bronchialkrankheiten ausgelöst wurde. Direkt mit dem Soldatenzug von der französischen Front zurückgekehrt und noch ehe er zur Familie nach Mindelheim weiterfuhr, suchte er seinen Sohn Josef in München auf und besuchte mit ihm an einem Donnerstag, den 7.November die von der MSPD und USPD angekündigten Demonstrationen auf der Theresienwiese.

Friedenskundgebungen von SPD und USPD auf der Theresienwiese

Trotz der Ausgangssperre für die Nachschubtruppen waren zwischen 100 000 und 200 000 Menschen gekommen, um Erhard Auer, den Landessekretär der bayerischen MSPD und Kurt Eisner, den Vorsitzenden der bayerischen USPD, bei deren Friedenskundgebungen , die von der Regierung genehmigt waren, reden zu hören.

Erhard Auer verlas eine Resolution, in welcher er die Absetzung des Kaisers, die Annahme der alliierten Waffenstillstandsbedingungen und eine Demokratisierung Deutschlands forderte, aber keinen radikalen Umsturz.

Felders Vater und er selbst hingegen hörten Kurt Eisner zu, einem begabten Redner und Journalisten.

Zug durch die Innenstadt

Während sich der von Erhard Auer angeführte Demonstrationszug durch die Stadt bis zum Friedensengel an der Isar am Ende friedlich auflöste, forderten Kurt Eisner und der blinde, überaus populäre Bauernführer Ludwig Gandorfer ihre Zuhörer zu sofortigem Handeln auf. Alsbald zogen Eisner, Gandorfer und deren Anhänger vor die in der Nähe gelegene Trappentreuschule, wo sich die dort kasernierten Soldaten alsbald ihnen anschlossen und die Menge bewaffneten. Alsbald zog der zahlenmäßig immer weiter anwachsende Demonstrationszug weiter zur Max II. Kaserne. Auch dort schlossen sich die Mannschaften nach einer kurzen Auseinandersetzung mit den Offizieren den Demonstranten an.

Proklamation des „Freien Volksstaat Bayern

Ohne auf nennenswerten Widerstand zu treffen, proklamierten sie im Mathäserbräu den ersten Arbeiter- und Soldatenrat und besetzten ohne Waffengewalt alle politisch und militärisch wichtigen Einrichtungen. Gegen Mitternacht trat sodann im Bayerischen Landtag der provisorische Arbeiter-, Soldaten- und Bauernrat zusammen und proklamierte den „Freien Volksstaat Bayern“. Die Wittelsbacher Dynastie erklärte Kurt Eisner für abgesetzt. Kurt Eisner war provisorischer Ministerpräsident, König Ludwig III. hatte noch in der Nacht München verlassen.

Josef Felder und sein Vater verließen vor dem Marsch Eisners durch die Münchner Innenstadt die Demonstration und erfuhren erst am nächsten morgen von ihrem Gelingen: „Mein Vater und ich hatten das Gefühl, dass das absolut richtig war. Ich zerriß meinen Gestellungsbefehl.“

Die Bayerische Sozialdemokratie war von Eisners Handeln total überrumpelt worden. Aus Mangel an Alternative traten sie in Eisners Kabinett ein, Auer wurde Innenminister unter Eisner, welcher selbst das Ministerium des Äußeren und den Vorsitz im Ministerrat übernahm. Die Regierung verstand sich als Übergangsregierung bis zur Wahl einer neuen Volksvertretung. Ein sogenannter Provisorischer Nationalrat billigte die neue Staatsregierung einstimmig.

Josef Felders Distanz zur USPD und SPD

Josef Felder sympathisierte zwar mit Eisner, trat aber nicht in die USPD ein, da er von Eisners Auftritt auf der „Internationalen Arbeiter- und Sozialistenkonferenz in Bern Anfang Februar 1919 abgeschreckt worden war. Dort hatte Eisner für Deutschland die volle Kriegsschuld übernommen, um günstigere Friedensbedingungen von den Siegermächten zu bekommen bzw. um diese milder zu stimmen. Ein ähnliches Verhalten war auch von Karl Kautsky bekannt geworden. In der Folgezeit entwickelt Josef Felder ein äquidistantes Verhältnis zur SPD und USPD: „Ich besuchte sowohl Versammlungen der USPD als auch der SPD und beobachtete alles sehr genau.“ Ein absolut nachvollziehbares Verhalten, war Josef Felder doch gerade einmal 18 Jahre. _______________________
1) In Josef Felder, Warum ich Nein sagte, Reinbek 2002, S. 26 spricht Felder vom Vortrag Deimlings Mitte Oktober, in der Autobiographie, a.a.O., S. 15 macht er keine genaueren Angaben Text von : Tobias Eder

Literatur:
Bernhard Grau, Kurt Eisner : 1867-1919. Eine Biografie . München 2001.
Oskar Maria Graf, Wir sind Gefangene . München 2002
Hans Beyer, Die Revolution in Bayern 1918/19 . 1988
Deutscher Bundestag. Wissenschaftliche Dokumentation (Hrsg.), Abgeordnete des deutschen Bundestages. Aufzeichnungen und Erinnerungen, Band 1, S. 15-79: Josef Felder; Mein Weg: Buchdrucker - Journalist - SPD-Politiker; Bonn 1982 ;
Josef Felder, Warum ich Nein sagte. Erinnerungen an ein langes Leben für die Politik; Reinbek 2002