8. Josef Felder zum 60. Jahrestag des Ermächtigungsgesetzes
„Es
verschwindet alles das, was man Rechtsstaat nennt“
von links nach rechts: Josef Felder(2. von links), Helmut Schmidt, Annemarie Renger, Prof. Wolfgang Leonhardt, hinten rechts: Wolfgang Thierse, rechts Oskar Lafontaine
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Anlässlich
der Sondersitzung der SPD-Bundestagsfraktion
am 23. März 1993, dem 60. Jahrestag der „Entmachtung des Reichstags“ durch
Hitler, sprach Josef Felder nochmals als einziger noch lebender
Reichstagsabgeordnete und Zeitzeuge im ehemaligen Reichstagsgebäude vor
geladenen Gästen und schilderte die
Vorkommnisse im Frühjahr 1933.
Im
Jahr 1933 erlebt Josef
Felder, wie Berlin dem „Rausch des Nationalismus“ verfällt. Von 1932-1933
Mitglied der SPD-Fraktion
des Reichtages, erleidet er als Abgeordneter bei Auftritten die
furchteinflößende Belagerung durch die SA.
Nach
Josef Felder seien die
Gewerkschaftern im Januar 1933 zu zögerlich gewesen, als Hitler, noch vor seiner
Vereidigung Neuwahlen bei Reichspräsident Hindenburg
durchsetzt.
Im
anschließenden Wahlkampf mussten die Massenkundgebungen der SPD
vom „Reichsbanner“
begleitet werden, was sich als äußerst gefährlich erwies. Selbst bei einer
Pistolenschießerei während eines Referats Felder griff zu seinem Erstaunen die
Polizei nicht ein. Göring beförderte
schließlich „verfassungswidrig“, wie Felder erkennt, SA-Leute zur Hilfspolizei.
Der Reichstagsbrand
am 27. Februar des Jahres erwies sich als weitere Verschärfung der Situation.
Deshalb spricht sich die SPD
endlich für einen Generalstreik
im Falle eines Verfassungsbruchs
Hitlers aus.
Josef
Felder sieht bereits in der folgenden „Verordnung zum Schutze von Volk und
Staat“ alle Grundrechte der Weimarer Verfassung ausgehebelt. Doch ADGB-Chef Leipart
zögert : „Ich bringe es nicht über mich, auf den Knopf zu drücken, denn das
bedeutet Bürgerkrieg.“
Süddeutsche Zeitung: Der Zeuge ist Optimist geblieben, 2.2.1993
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Am
Wahlabend des 05.03.1933
stehen die Stimmen mit 17 Millionen gegen und 17 Millionen für die Nazis. Im März
folgt die Eröffnung des Reichtags, die Einführung der Hakenkreuzflagge und die
für Felder „willkürliche Manipulation“ der Reichstagsgeschäftsordnung.
Die
Abstimmung am 23. März zum Ermächtigungsgesetz,
das mit 444 Stimmen gegen 94 (alle SPD) bewilligt wird, erschüttert die
Parteigenossen zutiefst.
Auch
die Nachricht, dass sich ADGB-Chef Leipart im Geheimen schon am 21. März von der SPD
distanziert hat, schockiert die Abgeordneten. Später werden alle Gewerkschafter
verhaftet, des Weiteren die Länder gleichgeschaltet und so zerfällt die Fraktion allmählich. 17. Mai 1933:
In der letzten Abstimmung zum Entschließungsantrag der Regierungsparteien für
die Gleichberechtigung Deutschlands in Genf, wo Abrüstungsverhandlungen
stattfanden, wurde den SPD-Abgeordneten deutlich gemacht, dass „es [...] um die
Würde der Nation“ gehe und diese sei „wichtiger als das Leben eines
Abgeordneten.“ Aufgrund dieser Drohung entschied sich die Restfraktion für eine
Abstimmung mit „JA“, aber gegen eine Unterzeichnung.
Am 22. Juni 1933 wurden alle Parteien verboten und Josef Felder entschied
sich wie viele andere Genossen für die Untergrundarbeit, in dem Bewusstsein, es
werde „immer ein Ruhmesblatt [...] der deutschen Sozialdemokratie bleiben“ ,
dass sie als einzige Partei gegen Hitlers Ermächtigungsgesetz
gestimmt habe und sich „uneingeschränkt zu den Grundsätzen der versunkenen
parlamentarischen Demokratie und der Verfassung von Weimar
bekannte.“
Hier endet Josef Felders Einschätzung
der politischen Entwicklung von Januar bis Juni 1933, als seine Motivation gilt
die des Hans-Jochen
Vogel: „Nicht zu übersehen ist die einstige Schwäche und Lähmung unserer
[...] Kraft als Partei [...] [,] das sozialdemokratische Selbstbewusstsein wäre
gestärkt [...] worden [,] [...] wenn es einen Aufstand gegeben hätte.“
Diejenigen die Andere kritisieren, welche nicht das Zeichen zum Widerstand
gaben, sollten „auch die geringe Aussicht auf Erfolg bedenken.“.
Josef Felder erinnert sich an den Tag des Reichsermächtigungs- gesetzes, 23.3.1993
Vollbild (689 kb) „Die
Lehren aus Weimar“, so Felder, „haben unsere handelnden Verfassungsväter 1949
glänzend gezogen. Sie schufen ein erstklassiges Grundgesetz[...]“. Des weiteren
ermahnt er: „ Darf ich euch aus der Erfahrung von Weimar bitten: Denkt bei
allem Bemühen um noch größere Bürgernähe bei der Wahl des Bundespräsidenten
nicht ans Plebiszit. Ohne es wäre uns nach dem frühen Tode [...] Friedrich
Ebert[s] mit großer Wahrscheinlichkeit Hindenburg erspart geblieben“.
Josef Felder schloss mit
einem Zitat Willy Brandts,
der Otto Wels Rede bei der
Abstimmung zum Ermächtigungsgesetz
würdigte: „Wir dürfen uns auf diese Rede nur berufen, wenn wir entschlossen
sind, alles dafür zu tun, dass sich ein Dilemma wie das des [...] Jahres 1933
nicht noch einmal ergibt.“
Weitere Stimmen zur Sondersitzung:
Hans-Ulrich
Klose, Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion 1993: „Jeder muss mitwirken an dem Gemeinschaftswerk,
das wir Demokratie nennen.“
Siegfried
Vergin, Sprecher der Projektarbeitsgruppe „Bekämpfung von Rechtsextremismus
und Gewalt“ der SPD-Bundestagsfraktion: „Der Unterschied zwischen den Verfolgern von damals
und den Verfolgern von heute sind die Machtverhältnisse. Sorgen wir dafür, dass
es so bleibt.“
Prof.
Dr. Helga Grebing, Stellv. Vorsitzende der Historischen Komission des
SPD-Parteivorstandes: „
Unsere Verpflichtung heute [ist ]: [die] Wahrung der Menschenrechte, der
Freiheit [und] der Demokratie“.
Literatur:
Verheugen, Günter, MdB, Parlament. Geschäftsführer:
Sitzung der SPD- Bundestagsfraktion am 3. März 1993 zum 60. Jahrestag der Entmachtung des Reichstags durch Hitler, April 1993, Bonn.
Von Juliane Rick
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