Die Münchner Ereignisse vom 8./9. November 1923,
gemeinhin als „Hitler-Putsch“
bezeichnet, obwohl maßgeblich auch durch
Erich
Ludendorff geprägt, sind keine für sich stehende abenteuerliche
Episode, sondern müssen im Kontext bayrischer Entwicklungen und divergierender
Tendenzen auf der nationalistischen Rechten gesehen werden.
Erich Ludendorff
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Tatsächlich symbolisiert der
gescheiterte Versuch Hitlers
und seiner Mitstreiter, vom Münchner Bürgerbräukeller
aus den „Marsch
nach Berlin“ anzutreten (nach dem Vorbild Mussolinis) und die „nationale
Revolution“ anzufachen, den Bruch zwischen nationalbürgerlichen
Rechtskonservativen und den radikaleren, aktivistischen Nationalrevolutionären,
die sich die Jahre zuvor in Bayern
in einer Phase fundamentaler Umbrüche politischer, wirtschaftlicher und
ideologischer Art in einer gemeinsamen Opposition zusammengefunden hatten.
Hitlerputsch 1923 in München, 1923
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Bayern
und hier insbesondere München war nach den besonderen Erfahrungen von
Revolution und Räterepublik
anfällig für rechte Agitation und antidemokratische Strömungen gewesen. Hinzu
kam eine föderalistische und eher reichsfeindliche Tradition, deren Vertreter
sich nach dem Abbau der bayrischen
Reservatrechte durch die Weimarer Reichsverfassung provoziert fühlten.
Rechtsgerichtete Koalitionsregierungen, antidemokratisches Beamtentum,
parteiliche Justiz und politisch einseitige Polizei prägten die bayrische
Innenpolitik ebenso wie zahlreiche außerparlamentarische rechte Gruppierungen,
die z.T. mit paramilitärischen
Mitteln versuchten, ihre Ziele durchzusetzen. In diesem gegenrevolutionären
Klima begegneten sich die zwei Haupttendenzen des rechten Lagers: die eher
rückwärtsgewandten, konservativ-wilhelminischen Honoratioren aus
bürgerlichen Kreisen, und die jungen Weltkriegsveteranen und
Studenten, die revolutionären Aktivismus und eine komplette Neuformierung
Deutschlands propagierten.
Mitgliedsbuch und Karte der NSDAP mit Hitlers und Amanns Unterschrift 1922, 1922
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Die
Geschichte der Zusammenarbeit zwischen den beiden Strömungen verlief bis 1923
sehr spannungsreich und war immer wieder von Abspaltungen, Übertritten und
gegenseitigen Einflussversuchen geprägt. In den verschiedenen
Dachorganisationen wie zuletzt den VVVB
(„Vereinigte Vaterländische Vereine Bayerns“, 1922/23) versuchten die
weiß-blauen Rechtskonservativen, die aktivistischen Radikalen zu kontrollieren
und ihr militärisches und politisches Potential auszunutzen. Doch die
Einheitsfront des rechten Lagers bröckelte zunehmend (u.a. „Königsputsch“
vom Herbst 1921); über eine gemeinsame negative Zielsetzung kam die Rechte
angesichts ideologischer und personeller Querelen nicht hinaus.
Die frühe NSDAP und das Krisenjahr 1923
Die
gegen Ende 1922 stärkste Gruppe im Lager der Rechtsradikalen, die NSDAP,
sollte durch ihr provokatives Vorgehen die Spannungen noch verschärfen.
Gegründet im Januar 1919 als Deutsche
Arbeiterpartei (DAP), hatte sie zunächst nur eine von mehreren völkisch-nationalistischen
Gruppierungen repräsentiert, die gegen den Versailler
Vertrag, die Weimarer Republik und die Juden agitierten. Die Nationalsozialisten
erhielten dabei Unterstützung durch Rechtskonservative und Teile der bayrischen
Staatsregierung, die dem Glauben anhingen, die Partei würde den Sozialisten die
Anhänger abwerben und ließe sich leicht kontrollieren. Nach ihrer
Neustrukturierung und unter dem stärkeren Einfluss Adolf
Hitlers agierte die NSDAP,
die in Bayern im Gegensatz zu Preußen und Thüringen nicht verboten worden war, jedoch
zunehmend selbstbewusster, nicht zuletzt dank ihres eigenen Wehrverbandes, der SA.
SA Standarte 1923, 1923
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Das
Krisenjahr
1923 beschleunigte und radikalisierte schließlich die Entwicklung. Zunächst
schien das rechte Lager in Bayern angesichts der politischen und
wirtschaftlichen Probleme (Ruhrbesetzung,
Inflation)
erneut zusammenzurücken. Doch mit ihrer radikalen und betont eigenständigen
Haltung während der Ruhrkrise und der trotzigen Durchführung des ersten
Parteitages führte die NSDAP
den organisatorischen Bruch bei: die Aktivisten um Ludendorff
und Hitler
scherten aus den VVVB
aus, um am 4. Februar ihre eigene, von der Reichswehr unterstützte und
ausgerüstete paramilitärische Dachorganisation zu gründen, die „Arbeitsgemeinschaft
vaterländischer Kampfverbände“. Es folgten diverse Kraftproben mit der
bayrischen Staatsregierung, die zunächst am 1. Mai mit der Niederlage der
Rechtsradikalen unter Hitler endeten. Zum ersten Mal hatte sich hier in aller
Deutlichkeit gezeigt, dass die staatlichen Machtmittel (Staatsregierung,
Landespolizei, Reichswehr)
radikalen Putschabsichten ablehnend gegenüberstanden. In der Folgezeit verschlechterte
sich das Verhältnis zwischen den beiden Hauptströmungen weiter. Die Aktivisten
unter Ludendorff
und Hitler
formierten sich im September im „Deutschen
Kampfbund“ neu, dessen Programm das Ziel einer nationalen
Diktatur zur inneren Reinigung Deutschlands und der Wiederherstellung alter
Weltmachtstellung
verkündete.
Der Weg zum Putsch
Veranstaltung der NSDAP im Zirkus Krone um 1922, 1922
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Ende
September 1923 sah sich schließlich die bayrische
Staatsregierung genötigt, den Ausnahmezustand auszurufen, um mögliche
Putschabsichten Hitlers zu verhindern. Es folgte die Ernennung des ehemaligen
Ministerpräsidenten und Kopf des bayrischen Rechtskonservatismus, Gustav
Ritter v. Kahr, zum mit außerordentlichen Exekutivvollmachten
ausgestatteten Generalstaatskommissar.
Gustav Ritter von Kahr
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Ein
großer Teil der bayrischen Rechten sah sich nun am Ziel. Auf das
völkisch-nationalrevolutionäre Lager wirkte die Position Kahrs als
quasi-Diktator jedoch verwirrend und lähmend; nicht wenige Aktivisten
schwenkten auf die gemäßigte weiß-blaue Linie um. Dazu trug nicht zuletzt der
„Fall Lossow“ bei, ein Verfassungskonflikt zwischen Bayern und Reich um die
Führung bayrischer Reichswehrtruppen. Die gesamte bayrische Rechte stand hinter
Lossow, dem
Landeskommandanten, und von Kahr. Man war sich einig, dass es diesmal kein
Nachgeben gegenüber Berlin geben dürfte. Kahr schmiedete unterdessen Pläne für
den Sturz Stresemanns
und ein nationales Direktorium, in das auch General
v. Seeckt, der Chef der Heeresleitung, einbezogen werden sollte. Die
Aktivisten sollten dabei durch ihren Einsatz gegen die Linken den „kalten“
Staatsstreich unterstützen; darüber hinaus war für sie jedoch keine
einflussreiche politische Position vorgesehen. Während von Kahr
also in seinen Plänen durch Lossow und die bayrische Reichswehr sowie
durch die Landespolizei unter Seißer unterstützt wurde, sah sich Hitler in den
letzten Oktobertagen zunehmend isoliert. Angesichts ungünstiger Verhältnisse in
Berlin und der Zurückhaltung v. Seeckts warteten die
Rechtskonservativen ab. Das Triumvirat
Kahr-Lossow-Seißer beanspruchte jedoch weiterhin die alleinige Führung für die
bayrische Aktion und erklärte, gegen jede Eigenmächtigkeit vorgehen zu wollen.
Eine spontane völkisch-nationale Revolution sei mit ihnen nicht zu machen,
vielmehr müsse alles genau durchorganisiert und die Mitwirkung der
norddeutschen Reichswehr
gesichert sein.
Hans von Seisser
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Der Putsch-Versuch
Im „Kampfbund“
war man mittlerweile zu der Überzeugung gekommen, dass die Konservativen den
Absprung von allein nicht finden würden. Die Aktivisten um Ludendorff
und Hitler beschlossen
daraufhin am 6. November, von sich aus zu handeln. Sie einigten sich schnell
auf den Abend des 8. November, an dem von Kahr
im Münchner Bürgerbräukeller
sein politisches Programm als Generalstaatskommissar
vorstellen wollte. Neben dem Mitreißen der zögernden Konservativen mögen auch
die Angst, bei einem separatistisch-monarchistischen Unternehmen nur eine
untergeordnete Rolle zu spielen, der Aktionsdrang ungeduldiger Anhänger sowie
die Sorge vor dem Zerfall des „Kampfbundes“
als Motive eine Rolle gespielt haben. Der Plan war schlecht durchdacht, nur
wenige waren aufgrund von Zeitdruck und Geheimhaltung eingeweiht. Zu mehr als
einem bloßen Handstreich auf den Bürgerbräukeller,
wo sich die gesamte bayerische politische Prominenz aufhielt, reichten weder
die Kräfte noch die Bewaffnung. Die Hoffnung auf Erfolg beruhte einzig und
allein auf den Sympathien, die man seit geraumer Zeit von der bayrischen
Regierung, der Landespolizei und der Reichswehr erfahren hatte.
Die politische Konzeption der Aktivisten war dabei ähnlich diffus wie die
militärische Vorbereitung. Am 8. November gegen 20.30 Uhr platzte Hitler dann mitten in
Kahrs Rede und erklärte die bayrische Regierung Knilling
sowie die Reichsregierung für abgesetzt. Während er das anwesende Publikum
schnell für sich gewinnen konnte, stimmten Kahr, Lossow und Seißer erst nach
dem Eintreffen Ludendorffs
(zumindest scheinbar) der Zusammenarbeit mit den Putschisten zu.
General Otto von Lossow
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Hitler proklamierte eine
neu gebildete Nationalregierung, die - bestehend aus ihm als politischen
Führer, Ludendorff
als Führer der nationalen Armee, Lossow als
Reichswehrminister und Seißer als
Reichspolizeiminister - von München aus den Marsch nach Berlin kommandieren
werde. Trotz der Betonung Kahrs,
er sei nur als Statthalter der Monarchie
bereit, sich zur Verfügung zu stellen, wähnten sich Hitler und seine
Verbündeten von der "Reichskriegsflagge",
dem „Bund Oberland“
und dem "Kampfbund
München" in Sicherheit. Nach der Freilassung durch Ludendorff
stellte sich das Triumvirat jedoch gegen die Putschisten und erklärte seine
Zustimmung für erpresst. Gegen Mittag des folgenden Tages kam es schließlich
zum Schusswechsel zwischen der Polizei und den Putschisten, die gehofft hatten,
durch einen Demonstrationszug doch noch die Lage zu ihren Gunsten zu verändern.
Der Putsch brach vor der Feldherrnhalle
in sich zusammen; 16 Putschisten und drei Polizisten bezahlten die
Aktion mit ihrem Leben.
Hitler auf Propagandawallfahrt 1923, 1923
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In Berlin war noch in der Nacht Seeckt mit der Ausübung
des militärischen Oberbefehls und der höchsten vollziehenden Gewalt beauftragt
worden. Seinem Ziel, die politische Macht in Deutschland an der Spitze eines Direktorialkabinetts auszuüben, war er damit aber nur
scheinbar näher gerückt, denn seine weit reichenden Befugnisse waren auf den
Sicherungszweck beschränkt und richteten sich in erster Linie gegen die Gefahr
aus Bayern.
Verordnung des Generalstaatskommissars Gustav von Kahr zum Verbot der NSDAP, 9.November 1923, 09.11.1923
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Der Hitler-Prozeß
Adolf Hitler in Lederhose 1927, 1927
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Trotz zahlreicher Demonstrationen wurde Hitler
sowie zehn seiner Mitstreiter vom „Kampfbund“
am 26. Februar 1924 vor einem bayrischen
Sondergericht der Prozess wegen Hochverrats gemacht. Während
sich die rechtskonservativen Beteiligten bemühten, ihre zweifellos vorhandene
Mitschuld zu verwischen, nutzte Hitler das Gericht als wirkungsvolles
Propagandaforum, auf dem er sich als nationaler Märtyrer stilisieren und damit
über Bayerns Grenzen hinaus bekannt werden konnte. Das Urteil vom
1. April fiel erwartungsgemäß milde aus: Hitler erhielt fünf Jahre Festungshaft (ist jedoch
vorzeitig entlassen worden); Ludendorff
wurde gar unter Würdigung seiner Verdienste als Weltkriegsgeneral
freigesprochen. Hitler zog aus dem missglückten Putschversuch vor allem eine
Lehre: die politische Macht war nur auf legalem Wege und nicht gegen den
Widerstand der staatlichen Gewaltmittel zu erobern. Diese Erfahrung nutzte er,
um Ende der zwanziger Jahre die politische Bühne mit ungleich höherer
Gefährlichkeit wieder zu betreten.
Die Angeklagten im Hitler-Prozess
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Text entnommen aus:
http://www.shoa.de/content/view/150/102/
http://de.wikipedia.org/wiki/Hitlerputsch
http://www.buergervereinigung-landsberg.de/festungshaft/hitler.htm
Literatur:
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/Hermann Weiß: Enzyklopädie des Nationalsozialismus, München 1997.
Benz, Wigbert / Bernd Bredemeyer /
Klaus Fieberg: Nationalsozialismus und Zweiter Weltkrieg. Beiträge,
Materialien Dokumente. CD-Rom, Braunschweig 2004.
Kammer, Hilde / Elisabet Bartsch /
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Deutsche Verlags-Anstalt, 1962.
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Rechtsradikalismus in Bayern nach 1918, Bad Homburg v. d. H. - Berlin – Zürich:
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Hitlerbewegung 1923, Preußisch Oldendorf: Schütz, 1975.
Franz-Willing, Georg: Putsch und
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November 1923, in: Johannes Willms (Hrsg.), Der 9. November. Fünf Essays zur
deutschen Geschichte, München: Beck, 1994, S. 33-48.
Thoss, Bruno: Der Ludendorff-Kreis
1919-1923. München als Zentrum der mitteleuropäischen Gegenrevolution zwischen
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